PM-Seminar auf dem Hof Lührs: „Reiten ist unspektakulär“
von Dominique Wehrmann | 15. Oktober 2024 | Lehrgänge
Karin Lührs, Grand Prix-Ausbilderin, Trainerin A, Richterin bis Klasse S und zweite Vorsitzende von Xenophon e.V., hatte am Samstag, 12. Oktober, zu einem PM-Seminar auf ihren Hof im schleswig-holsteinischen Neversdorf eingeladen. Das Thema: „Richtig reiten reicht – der Weg zu einem zufriedenen Pferd“.
Rund 60 Pferdebegeisterte waren der Einladung gefolgt. Sie dürften es nicht bereut haben, denn Karin Lührs hatte zur Veranschaulichung des Kursthemas die idealen Protagonisten geladen, die anschaulich machten, dass das, was Lührs zuvor in einer theoretischen Einführung zum Thema Ausdrucksverhalten des Pferdes erklärt hatte, alles andere als graue Theorie ist.
Da war zum einen die zehnjährige, bis L ausgebildete Brandenburger DSP-Stute Carolina F, die ihrer Abstammung nach zu urteilen (sie ist eine Chacco-Blue Enkelin und führt auf ihrer Mutterseite Calido und Kolibri im fallenden Pedigree) auch im Parcours eine gute Figur machen würde, mit ihrer Besitzerin und Reiterin Dr. Friederike Achterberg jedoch im Viereck erfolgreich ist. Die beiden sind langjährige Schüler von Karin Lührs und arbeiten derzeit an den Lektionen für den Schritt in die Klasse M.
Von Lehrgängen kennt Karin Lührs die Berufsreiterin Emily Klein, die mit ihrer Rocco Granata-Tochter Rhodée eine neunjährige Hannoveraner Stute mitgebracht hatte, die im Viereck Platzierungen in Dressurpferdeprüfungen der Klasse A und im Springen bis Klasse A** aufweisen kann.
Nummer drei war eine weitere Schülerin von Lührs, Isa Lindemann-Treptau, die den einst gekörten, inzwischen aber gelegten Trakehner Gabun v. Camaro vorstellte. Der auffällige Schecke, der seine arabischen Vorfahren auf der Mutterseite nicht verleugnen kann, ist bis Klasse S platziert.
Das vierte Pferd ging an der Longe: ein hoch veranlagter Vivaldi-Sohn mit Namen Vivarant, der erst seit wenigen Monaten bei Karin Lührs steht. Zuvor hatte der Fuchs mit wiederkehrenden Koliken zu kämpfen. Doch in den letzten Monaten hat er sich erholt und befindet sich nun im Aufbautraining.
Carolina F
Dr. Friederike Achterberg und Carolina F machten den Anfang. Zu Beginn zeigte die Stute sich noch etwas steif und vor allem irritiert von den Zuschauern an der kurzen Seite. Aber das Vertrauen zu ihrer Reiterin war offensichtlich. Zwar äugte sie immer wieder misstrauisch gen Besucher, aber sie sprang nicht weg oder ähnliches. Nach nur ca. zehn Minuten wurden die Bewegungen flüssiger und raumgreifender, der Schweif pendelte, die Stute kaute zufrieden am Gebiss, schäumte leicht, suchte den Kontakt zum Gebiss und dehnte sich beim Zügel aus der Hand kauen lassen nicht nur mustergültig in Richtung Vorwärts-abwärts, sondern schnaubte auch zufrieden. Mit dem Warmwerden der Muskulatur war auch das Ziel der Lösungsphase, die Erarbeitung von Takt, Losgelassenheit und Anlehnung, erreicht. Keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Zeichen des reellen Gerittenseins der Stute. Karin Lührs:
Erst wenn Takt, Losgelassenheit und Anlehnung gegeben sind, ist die Lösungsphase beendet. Das kann auch eine Stunde dauern.
Denn wenn diese drei ersten Punkte der Skala der Ausbildung nicht gegeben sind, braucht man an weitergehende Arbeit gar nicht zu denken. Und noch ein Merkmal sprach Lührs an: „Die Bewegungen sind nun leise. Das ist ein Zeichen für die Geschmeidigkeit in den Bewegungen. Ein gut gerittenes Pferd bewegt sich praktisch lautlos.“
Karin Lührs’ Thema an diesem Tag war ja vor allem, wie die gute Ausbildung ein zufriedenes Pferd hervorbringt. In diesem Zusammenhang verwies sie auf das Ohrenspiel von Carolina F – es war lebhaft, mal zur Reiterin gerichtet, dann wieder auf ihre Zuschauer, dann nach draußen. Und auch wenn sie mit zunehmender Arbeit sichtlich gefordert war, schien sie ihre Umwelt immer noch voll wahrzunehmen. Carolina F ist sicherlich kein Bewegungswunder. Aber die Zufriedenheit und Aufmerksamkeit der Stute in Kombination mit dem unaufwendigen Reitstil von Dr. Achterberg ergaben ein so harmonisches Ganzes, dass es Spaß machte, den beiden zuzuschauen.
Reiten ist eigentlich unspektakulär
kommentierte Karin Lührs. Also genau das Gegenteil dessen, was in so manchen Turniersport- und vor allem Zuchtprüfungen hochgelobt wird. Das heiße aber nicht, dass man das Pferd nicht fördern und fordern darf, betonte Lührs. „Wir versuchen im Training immer wieder Reize zu setzen, das Pferd zu fordern, ohne es zu überfordern. Aber auch ohne es zu unterfordern.“
Bei den Übergängen zu Beginn der Arbeitsphase klappte das sehr gut. Carolina F fing sichtlich an, Last aufzunehmen und sich zu schließen. Vor allem nach Lührs Erinnerung an die Reiterin: „Der erste Schritt/Tritt/Sprung nach einem Übergang soll immer der größte sein!“ Denn dann ist der Reiter gezwungen, den Übergang wirklich von hinten nach vorne zu reiten, egal ob in eine höhere oder in eine niedrigere Gangart.
Im Galopp fiel es der Stute sichtlich schwerer, Last aufzunehmen, ohne den Takt und Fleiß des Galoppsprungs zu verlieren. Karin Lührs ließ sich eine Touchiergerte reichen. „Aus diesem Unspektakulären heraus wollen wir das Pferd fordern. Dann wird es immer schöner. Das ist Gesundheitssport“, erklärte sie, während sie zu Carolina F hinging und ihr mit der Gerte sacht über Kruppe und Hanken strich. Die Stute ließ sich das gelassen gefallen. Dann forderte Lührs die Reiterin auf, anzugaloppieren, den Zirkel um sie herum zu verkleinern und dabei die Stute weiter zu versammeln. Vorsichtig tippte sie Carolina F auf die Kruppe, dann von hinten an die Oberschenkelmuskulatur. Doch die Stute reagierte mit Abwehr, verspannte sich und schlug sogar einmal nach der Gerte. Lührs hörte sofort auf, statt nachzusetzen. „Da war ich zu doll!“, stellte sie fest. In diesem Moment hatte sie die Grenze zwischen Fordern und Überfordern überschritten. Diese Grenze ist von Pferd zu Pferd verschieden und es ist Aufgabe des Reiters bzw. des Ausbilders, die Signale zu erkennen und sofort einen Gang zurückzuschalten. Das machte Lührs dann auch, forderte die Reiterin auf, die Stute wieder etwas freier galoppieren zu lassen und als die Stute entspannt auf das Antippen der Touchiergerte (den „Taktstock“, wie Lührs ihn nennt) reagierte, beendete sie die Übung sofort.
Vivarant
Das nächste Pferd auf dem Plan war der zehnjährige Hannoveraner Wallach Vivarant, ein ehemals gekörter Hengst v. Vivaldi-Samarant aus der erfolgreichen Zucht der Willem Klausing GbR. Der schicke Fuchs hatte einige Platzierungen in Reitpferdeprüfungen, doch in den letzten Jahren war er keine Turniere mehr gegangen. Da er sich nach seiner Krankengeschichte noch im Aufbautraining befindet, zeigte Karin Lührs ihn an der Longe, ausgerüstet mit einem Laufferzügel. Mehrere Dinge wurden deutlich bei dem Wallach: 1. sein Talent, 2. wie wichtig es ist, dass der Longenführer nicht wie früher immer gefordert in der Mitte des Longierzirkels stehen bleibt, 3. warum man für zielgerichtetes Longieren einen Hilfszügel benötigt.
Vivarant tat sich auf der linken Hand mit der Balance schwerer als auf der rechten Hand. Dadurch wendete er links schlechter als rechts, was dazu führte, dass er auf der eigentlich runden Zirkellinie immer wieder „aneckte“. Lührs’ Lösung: es ihm leicht zu machen, sein Gleichgewicht zu halten, indem sie selbst einen größeren Kreis ging und die „Ecken“ abfing, indem sie vorsichtig mit der Longe annahm und wieder nachgab. So kam Vivarant immer wieder zurück in die Wendung. Es dauerte nicht lang, da begann der Fuchs seinen Hals aufzuwölben, ein Zeichen dafür, dass er die Oberlinie in gewünschter Form aufwölbte. Dementsprechend wurden die Bewegungen zunehmend freier und schöner, sowohl im Trab als auch im Galopp. „Warum ist ein Hilfszügel eigentlich so wichtig?“, kam die Frage aus dem Publikum. Eine berechtigte Frage, wo doch die Sozialen Medien voll von Aussagen sind, nach denen Hilfszügel generell schädlich seien. Karin Lührs: „Wenn es nur um die Balance geht, ist es sicherlich möglich, das Pferd ohne Hilfszügel zu ,longieren‘. Aber wir wollen die Pferde ja reiten. Dafür müssen wir sie an die Hilfen stellen und dafür brauchen wir die Anlehnung.“ Zumal Vivarant mit seinem „pretty neck“ eindrucksvoll zeigte, wie alles miteinander zusammenhängt – Takt und Losgelassenheit ergeben erst in Kombination mit der Anlehnung das zweckmäßige An- und Abspannen der Muskulatur, aus dem heraus die federnden „leisen“ Bewegungen entstehen, die echten Schwung ausmachen, der dem Bewegungsapparat des Pferdes nicht schadet, sondern seine Stabilität fördert.
Rhodée
Emily Klein hatte an diesem Tag eine etwas undankbare Rolle. Denn obwohl sie vorsichtig und gefühlvoll einwirkte, ihre Rhodée kam nicht zur losgelassenen Entspannung. So positiv das Ausdrucksverhalten der beiden Pferde zuvor gewesen war, so deutlich war Rhodée anzusehen, dass sie sich unter dem Sattel äußerst unwohl fühlte. Die auf den ersten Blick sichtbaren Zeichen: stets steif nach hinten gerichtete Ohren, ein „besorgter“ Gesichtsausdruck und andauerndes, hörbares Knirschen mit den Zähnen, obwohl die Stute schon ein Nathe Gebiss im Maul hatte und der Zügel praktisch immer durchhing. Es gelang der Reiterin nicht, eine stete Anlehnung zu erarbeiten. Mal hob Rhodée sich heraus, mal verkroch sie sich hinter dem Gebiss und wurde hektisch. Die Reiterin kam weder zum Treiben noch in Kontakt mit dem Pferdemaul. Sie war praktisch nur Passagier. Eine schwierige Aufgabe für die Reiterin und auch die Ausbilderin, die Rhodée zum ersten Mal sah an diesem Tag. Lührs forderte Emily Klein als erstes auf, die Stute eher „untertourig“ zu reiten und sie nicht einfach laufen zu lassen. Dann sollte sie das Gebiss ganz vorsichtig im Maul bewegen, ohne dabei rückwärts einzuwirken. Sie sollte die Stute zum Kauen animieren und dazu, den Hals fallen zu lassen. Sehr geschickt kam Klein der Aufforderung nach und tatsächlich begann Rhodée zumindest phasenweise, sich etwas zu entspannen. Da Übergänge sie eher zu stressen schienen, beließ Karin Lührs es dabei. So schade es für Emily Klein und ihre sympathische Stute auch war, ihrem Publikum veranschaulichten sie eindrucksvoll, wie ein Pferd unter dem Sattel seiner Unzufriedenheit Ausdruck verleihen kann. Hier war klar, dass an diesem Tag die innere Losgelassenheit fehlte, um auch äußerlich zur Losgelassenheit zu kommen.
Gabun
An dem auffälligen Scheckwallach Gabun konnte man wiederum gut sehen, dass „nur locker reiten“ der Gesunderhaltung nicht dienlich ist. Im Trab fehlte anfangs die Brücke vom aktiven Hinterbein über den schwingenden Rücken hin zur Reiterhand. Der Bewegungsablauf wirkte wenig geschlossen und „lose“. Karin Lührs forderte Isa Lindemann-Treptau auf, den Wallach erst einmal zu galoppieren. „Unser Ziel ist es nicht, das Pferd locker zu machen, sondern losgelassen“, verdeutlichte sie. Und das ist definiert durch zweckmäßiges An- und Abspannen der Muskulatur. Beides gehört dazu. Locker und zwanglos war Gabun, aber noch wenig geschlossen. Es fehlte das Anspannen der Muskulatur. Darum sollte Isa Lindemann-Treptau im Galopp Übergänge reiten, Gabun immer wieder bis hin zum Pirouettengalopp zurücknehmen und daraus die Sprünge wieder verlängern, das „System reizen“, wie Lührs es ausdrückte. Um den Rücken zu engagieren, sollte sie den Hals aus dem Widerrist heraus etwas flacher einstellen und dafür Gabun mit dem Trensenzügel signalisieren: „Du kannst zur Hand hin!“. „Du musst organisieren, dass er an der Trense abkaut“, so Lührs. Ähnliches später bei der Trabverstärkung. Zwar war der Bewegungsablauf im Trab nach der Galopparbeit deutlich geschlossener, aber beim Zulegen wünschte Karin Lührs sich mehr Rahmenerweiterung. „Du musst die Idee im Kopf haben, dass du das Maul von dir wegschieben willst“, gab Karin Lührs der Reiterin mit auf den Weg. Das ist bei der Schwungentfaltung besonders wichtig, gilt aber im Prinzip auch in der Versammlung, um eine relative Aufrichtung zu erreichen. Wie Lührs verdeutlichte: „Das Pferd soll den Widerrist anheben und dabei die Oberlinie aufwölben. Der Hals soll dir entgegenkommen, aber der Rücken zuerst. Unser Ziel ist die Aufrichtung mit entspanntem Unterhals.“
Denn dann wird nicht nur der „neck pretty“, sondern das gesamte Pferd.